Neue Forschungsergebnisse werfen Licht auf den Wahn der externen Kontrolle bei Schizophrenie

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May 24, 2023

Neue Forschungsergebnisse werfen Licht auf den Wahn der externen Kontrolle bei Schizophrenie

25. Mai 2023

25. Mai 2023

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by Mareike Kardinal, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

Das Gefühl, dass das eigene Handeln von äußeren Kräften gesteuert wird, ist ein häufiges Merkmal bei Schizophrenie. Ein Forschungsteam des Hertie-Instituts für Klinische Hirnforschung, der Universität Tübingen und des Zentrums für Psychische Gesundheit der Universitätskliniken Tübingen hat dieses Phänomen des „Kontrollwahns“ nun genauer untersucht.

In einer Studie wurde festgestellt, dass Menschen, die diesen Wahn erleben, die Länge des Zeitintervalls zwischen ihren eigenen Handlungen und ihren Folgen anders wahrnehmen als gesunde Menschen. Mit ihren neuen Erkenntnissen können die Forscher möglicherweise die Wahrscheinlichkeit von Kontrollgefühlen vorhersagen und unser Verständnis dieser Selbststörung verbessern.

Das sei relevant, weil Konzepte wie Eigenverantwortung im Selbst verankert seien und weite Teile unseres gesellschaftlichen Lebens prägen, bis hin zur Rechtspflege, erläutern die Forscher. Die Studie wurde in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

„Um das Gefühl der Handlungsautorschaft zu erforschen, haben wir uns auf das Phänomen der absichtlichen Bindung konzentriert“, sagt gemeinsamer Studienleiter Dr. Axel Lindner. Dieser Begriff beschreibe die wahrgenommene zeitliche Nähe zwischen einer Handlung und ihrer Konsequenz. Als Beispiel nennt Lindner das Einschalten einer Lampe: „Ich betätige den Schalter und im selben Moment leuchtet die Glühbirne auf. Die enge zeitliche Abfolge hilft mir zu verstehen, dass ich es war, der das Licht angeschaltet hat.“

Dennoch gibt es Situationen, in denen der Ablauf nicht ganz so genau getaktet ist – etwa bei Energiesparlampen, die oft erst mit einer Zeitverzögerung leuchten. „Dabei verändert unser Gehirn subjektiv die Wahrnehmung der Aktion und ihrer Konsequenz: Das Einschalten des Schalters wird als später und das Aufleuchten als früher wahrgenommen, als es tatsächlich der Fall ist.“ Ein cleverer Mechanismus – der aber bei Patienten mit Kontrollwahn nicht funktioniert, wie wir jetzt herausgefunden haben“, sagt Lindner.

In Zusammenarbeit mit Professor Marc Buehner von der Universität Cardiff (Großbritannien) rekrutierte das Tübinger Team 20 gesunde Probanden und 20 Patienten mit Schizophrenie. Zehn von ihnen litten unter dem Gefühl, fremdgesteuert zu sein. Alle Probanden lösten die gleiche Aufgabe: Sie mussten durch Drücken eines Knopfes mit der rechten Hand anzeigen, wann eine Lampe aufleuchtete.

Es gab drei verschiedene Versuchsbedingungen: In der einen wurde die Lampe über einen Schalter mit der linken Hand des Probanden eingeschaltet. In einem anderen Fall beobachteten die Probanden, wie eine Maschine das Einschalten für sie erledigte. Zur Kontrolle gab es Zeiten, in denen das Aufleuchten der Lampe nur durch einen vorangehenden Hinweisreiz angekündigt wurde.

„Das Wichtige an diesem Versuchsaufbau war, dass die Lampe in allen Fällen eine feste Einschaltverzögerung von einer halben Sekunde hatte“, sagt der Erstautor der Studie Manuel Roth. „Der Zeitraum zwischen den drei mutmaßlichen Auslösern und dem Aufleuchten der Testlampe war also immer gleich lang.“

Allerdings empfanden die Probanden die Länge des Intervalls unterschiedlich. Wenn die Probanden zuvor einen Schalter betätigen mussten, zeigten sowohl gesunde als auch schizophrene Patienten ohne Kontrollwahn deutlich eine absichtliche Bindung, berichten die Forscher. Die Probanden signalisierten deutlich früher, dass das Licht aufleuchtete, als es tatsächlich geschah.

Sie empfanden die Dauer auch als kürzer, als wenn entweder die Maschine den Schalter drückte oder wenn im Voraus nur ein Hinweisreiz gegeben wurde. Dabei empfanden die Teilnehmer den Zeitraum bis zum Aufleuchten der Lampe als länger.

Bei Patienten mit Kontrollwahn kam der Mechanismus der absichtlichen Bindung jedoch nicht ins Spiel. Sie empfanden das Zeitintervall in allen drei Fällen als gleich. „Tatsächlich berichteten sie, nachdem sie den Schalter selbst betätigen mussten, dass eine externe Kraft – wahrscheinlich ein Computer – die Lampe eingeschaltet habe.“ Je schwächer ihre absichtliche Bindung war, desto stärker erlebten sie ihr eigenes Handeln im Alltag als fremdbestimmt.

Die Forscher sagen, dass diese Studie die Bedeutung einer intakten Wahrnehmung der zeitlichen Nähe zwischen Handlung und Konsequenz für das Gefühl der Urheberschaft gegenüber Handlungen unterstreicht. Die Studie trägt auch zu unserem Verständnis des verminderten Entscheidungsgefühls bei Schizophreniepatienten mit Kontrollwahn bei. Die Forscher hoffen, dass solche einfachen mechanistischen Erklärungen in Zukunft genutzt werden können, um diese Selbststörung bei Schizophrenie quantitativ zu bewerten und die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens vorherzusagen.

„Unsere Studie ist bisher reine Grundlagenforschung an einer kleinen Gruppe, die keine unmittelbare Verbesserung für Patienten bringen kann“, sagen die Neurobiologen Roth und Lindner. „Allerdings liefert die Studie wichtige Hinweise, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Handelns verbessern lässt. Ob das möglich ist, müssen zukünftige Studien zeigen.“ Die Arbeit mache ein psychisches Problem anhand relativ einfacher Mechanismen begreifbar, sagt Lindner: „Allein diese Erkenntnis könnte betroffenen Patienten helfen und die gesellschaftliche Akzeptanz der Krankheit verbessern.“

Mehr Informationen: Manuel J. Roth et al.: Eine beeinträchtigte Wahrnehmung der zeitlichen Kontiguität zwischen Handlung und Wirkung ist mit Handlungsstörungen bei Schizophrenie verbunden, Proceedings of the National Academy of Sciences (2023). DOI: 10.1073/pnas.2214327120

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